Hintergrundtext

Antisemitismus und Verschwörung

Was ist eine Verschwörungstheorie?

Unsere Welt ist komplex. Viele Dinge, die tagtäglich passieren, können wir nicht beeinflussen. Vieles verstehen wir vielleicht auch gar nicht genau. Das sorgt nicht unbedingt dafür, dass man sich besonders gut fühlt. Und genau an diesem Punkt kommen Verschwörungstheorien ins Spiel.

Eine Verschwörungstheorie ist ein falscher Erklärungsansatz für bestimmte Phänomene oder Ereignisse. Verschwörungstheoretiker:innen unterstellen, dass eine geheime Gruppe von Menschen diese Phänomene oder Ereignisse absichtlich hervorruft oder beeinflusst. Sie handelt dabei angeblich aus egoistischem Interesse oder purer Bosheit und will der Menschheit schaden.

Verschwörungstheorien können sich nicht nur auf einzelne Ereignisse beziehen, sondern sich auch zu einer Form der Welterklärung verdichten: Alles, was auf der Welt geschieht, wird dann in den Kontext der vermeintlichen Verschwörung gebracht und als Teil eines großen Plans angesehen.

Wie sind Verschwörungstheorien aufgebaut?

Verschwörungstheorien sind grundsätzlich nach demselben Muster aufgebaut: 

  • Es gibt eine Gruppe von mächtigen Verschwörer:innen.
  • Sie haben einen bösartigen Plan, den sie skrupellos durchsetzen.
  • Ihnen sind dafür alle Mittel recht: Lügen, Manipulation der Medien, Bestechung, Erpressung und sogar Mord.
  • Für ihre eigenen Vorteile und ihren eigenen Profit nehmen sie sogar globale Wirtschaftskrisen und Kriege in Kauf.
  • Ein Großteil der Menschheit weiß nichts von diesen geheimen Machenschaften, sondern sind hilflose Opfer.
  • Es gibt einige Menschen, die die Wahrheit erkannt haben und gegen die Verschwörer:innen ankämpfen.
  • Zu diesen zählen sich die Verschwörungstheoretiker:innen selbst – schließlich wollen sie die Menschheit über die angebliche Verschwörung informieren.

Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?

Warum ist der Glaube an eine große Verschwörung, die unser Leben bestimmt, für manche Menschen so attraktiv? Kurz gefasst: Der Glaube an Verschwörungstheorien kann Halt und Sicherheit geben. 

Wenig Einfluss auf die Welt zu haben, Dinge nicht zu verstehen oder vor individuell unüberwindbaren Problemen zu stehen – all das kann dafür sorgen, dass man sich klein und machtlos fühlt. Da kann eine Verschwörungstheorie verlockend sein. Denn sie liefert einfache Antworten auf komplizierte Fragen und benennt konkrete Schuldige. Ein Beispiel: Anstatt die höchst komplexen Hintergründen einer Wirtschaftskrise zu analysieren, geben Verschwörungstheorien eine klare Antwort: „Die da sind schuld!“ Und Verschwörungstheorien versprechen eine einfache Lösung: „Wenn die da weg sind, geht es uns wieder besser!“

Mit dem Glauben an Verschwörungstheorien kann man sich selbst über andere erheben. Denn im Gegensatz zu allen anderen Unwissenden, hat man selbst die Verschwörung ja durchschaut. Während die anderen den Lügen auf den Leim gegangen sind, gehört man selbst zu den wenigen, die sich wehren. 

Es wundert daher nicht, dass man geschichtlich gut nachweisen kann: In unsicheren Umbruchzeiten verbreiten sich Verschwörungstheorien besonders gut. Denn sie locken mit Halt, Sicherheit und dem guten Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.

Wem nutzen Verschwörungstheorien?

Doch nicht nur einzelne Menschen können aus Verschwörungstheorien ihren Nutzen ziehen. Immer wieder werden Verschwörungstheorien und Falschinformationen (engl. Fake News) auch strategisch genutzt: um Hass gegen Minderheiten zu schüren, um Wahlen zu beeinflussen oder anderweitig Propaganda zu verbreiten. Sie können gezielt eingesetzt werden, um Rassismus, Antisemitismus oder andere Formen menschenverachtender Ideologien zu streuen. Die Gefahr, die von gewaltbereiten Verschwörungstheoretiker:innen ausgeht, sollte nicht unterschätzt werden. Auch in Deutschland sind in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang viele Gewaltverbrechen verübt worden – bis hin zu mehreren Morden.

Verschwörungstheorie oder Kritik?

In unserer Welt gibt es viele Dinge, die abseits der Öffentlichkeit passieren. Dazu gehören zum Beispiel geheime Absprachen in Politik und Wirtschaft. Aber auch Geheimdienste arbeiten häufig im Verborgenen. Um sich als Individuum, Firma oder Staat Vorteile zu sichern, werden immer wieder auch Gesetze überschritten. Dafür gibt es viele reale Beispiele – wie zum Beispiel die Überwachung von unbescholtenen Menschen durch Geheimdienste.

Es schadet also nicht, aufmerksam auf die Dinge zu schauen, die um uns herum passieren. Schließlich sollen Missstände aufgedeckt und Ungerechtigkeiten benannt werden. Doch wann hat man die Ebene kritischer Nachfrage verlassen und fängt an, einer Verschwörungstheorie anzuhängen? Diese Unterscheidung ist nicht immer ganz einfach. Trotzdem gibt es Hinweise und Anhaltspunkte, die dabei helfen können, Verschwörungstheorien zu erkennen:

Verschwörungstheorien versuchen, die ganz große Sache aufzudecken, oft ein weltweiter Plan zum Umsturz der Gesellschaft. Die Existenz von Verschwörungen solchen gigantischen Ausmaßes ist nicht sehr plausibel. Denn es gilt: Je größer die angebliche Verschwörung, desto mehr Menschen müssten eingeweiht sein. Je mehr Menschen eingeweiht sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann jemand auspackt. Viele geheime Absprachen sind genau aus diesem Grund aufgedeckt worden: Weil Menschen nicht mehr mitmachen wollten und die Wahrheit gesagt haben. Und das schon bei „Verschwörungen“ von sehr viel kleinerem Ausmaß. 

Ein weiteres wichtiges Merkmal von Verschwörungstheorien ist, dass sie Kritik und Widerspruch nicht zulassen. So werden zum Beispiel wissenschaftlich fundierte Fakten einfach als Lügen dargestellt. Oder es wird behauptet, dass die Personen, die Fakten als Gegenargumente vorbringen, selbst Teil der Verschwörung sind. Egal wie, die Anhänger:innen von Verschwörungstheorien entziehen sich jeder sachlichen Diskussion.

Warum gehen Antisemitismus und Verschwörungstheorien so oft Hand in Hand?

Antisemitismus spielt bei Verschwörungstheorien oft eine ganz besondere Rolle. Antisemitische Verschwörungstheorien sind so alt, wie der Judenhass selbst. Eine der ersten großen Verschwörungserzählungen über Jüdinnen:Juden ist rund zweitausend Jahre alt: Angeblich hätten sie sich verschworen, um Jesus zu ermorden. Damit hätten sie einen „Gottesmord“ begangen. 

Die Vorstellung, Jüdinnen:Juden würden sich zusammentun, um Menschen zu schaden, hat seit dieser Zeit überdauert und sich immer wieder an neue Umstände angepasst. So wurden im Mittelalter in Europa insbesondere zwei antisemitische Verschwörungstheorien populär. In der Ritualmordlegende wird behauptet, Jüdinnen:Juden würden christliche Kinder ermorden, um ihr Blut für magische Zwecke zu nutzen. Die zweite Legende unterstellt den Jüdinnen:Juden, dass sie Brunnen vergiften und dadurch die Pest verursachen würden, um die nicht-jüdische Bevölkerung auszulöschen. Und obwohl man mit Leichtigkeit nachweisen kann, dass beide Erzählungen frei erfunden sind, halten sich solche judenfeindlichen Bilder auch heute noch hartnäckig: Anhänger:innen der rechtsextremen QAnon-Bewegung glauben, eine geheime Elite würde Kinder entführen, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsmittel herzustellen – die Ähnlichkeit zur mittelalterlichen Ritualmordlegende ist offensichtlich. Und während der Coronazeit kam die Behauptung auf, Jüdinnen:Juden hätten die Covid-19-Pandemie erfunden, um die Weltbevölkerung zu vergiften. Auch das erinnert nicht durch Zufall an die bösartigen Anschuldigungen der Brunnenvergiftung.

Doch warum tauchen Jüdinnen:Juden immer wieder im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien auf? Weil Judenhass selbst eine Verschwörungstheorie ist. Antisemit:innen glauben, dass Jüdinnen:Juden besonders bösartig und skrupellos sind und dass alle jüdischen Menschen auf der ganzen Welt gemeinsame Ziele verfolgen. Damit hat man schon die perfekten „Bösewichte“ zur Hand. Deswegen tauchen in vielen Verschwörungstheorien auch irgendwann Jüdinnen:Juden als angebliche Verschwörer auf.

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