Antisemi...was?
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Woher kommt der Begriff "Antisemitismus"?
Die Vorsilbe „anti“ bedeutet „gegen“, das Wort „Semiten“ meint Jüdinnen:Juden. Ein Antisemit ist also ein „Judengegner“. Die Bezeichnung „Semiten“ ist problematisch: In der Sprachwissenschaft kennt man semitische Sprachen, darunter zum Beispiel Aramäisch, Äthiopisch, Arabisch oder Hebräisch. Rassistische Theoretiker konstruierten daraus später eine „Rasse“ – und meinten damit Jüdinnen:Juden. Das Wort „Antisemitismus“ haben deutsche Judenfeinde im 19. Jahrhundert selbst erfunden. Dieser neue Name klang wissenschaftlich und sollte dem Judenhass einen seriösen Anstrich verleihen. Trotz seiner problematischen Herkunft ist Antisemitismus heute der anerkannte Fachbegriff für die verschiedenen Formen der Judenfeindschaft.
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Seit wann gibt es Antisemitismus?
Die Geschichte des Antisemitismus reicht 2000 Jahre zurück. Frühe Formen der Judenfeindschaft finden sich schon in der Antike, dann besonders im Christentum und schließlich auch im Islam. Die frühe Judenfeindschaft war vor allem religiös begründet und wandte sich gegen das Judentum als Religion. Das nennt man auch Antijudaismus. Später in der Neuzeit kamen neue Begründungen hinzu: Neben der Religion wurde nun die Herkunft immer wichtiger. Das Jüdischsein wurde zu einem unveränderlichen Merkmal erklärt. Der moderne Antisemitismus argumentiert rassistisch, nationalistisch und verschwörungsideologisch. Er macht „die Juden“ für alle möglichen Übel der Welt verantwortlich.
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Ist Antisemitismus heute noch ein Problem?
Antisemitismus ist kein Phänomen längst vergangener Zeiten. Vorurteile gegenüber Jüdinnen:Juden werden heute nicht nur von wenigen Unverbesserlichen geteilt. Aktuelle Studien zeigen: Antisemitische Vorurteile und Klischees sind weit verbreitet. Und sie reichen weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. So glaubt heute jede vierte bis fünfte Person in Deutschland, nämlich 20-25 Prozent, dass Jüdinnen:Juden (zu) viel Einfluss hätten. Auch jüdische Befragte berichten von Erfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland: Fast jede zweite jüdische Person (41 Prozent) gibt an, in den letzten zwölf Monaten antisemitisch belästigt oder beleidigt worden zu sein.
Zahlen nach: Mediendienst Integration: „Antisemitismus - Zahlen und Fakten“ (Stand: Dez. 2023)
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Sind Jüdinnen:Juden in Deutschland in Gefahr?
Antisemitismus bedroht Jüdinnen:Juden in ihrem Alltag. Das äußert sich in beiläufigen Bemerkungen und Anspielungen, Drohungen und Beleidigungen, aber auch in tätlicher Gewalt. Allein im Jahr 2022 zählte die Polizei in Deutschland mehr als 2.600 antisemitische Straftaten, darunter 88 Gewalttaten. Das sind im Durchschnitt sieben Straftaten am Tag. Überall dort, wo Antisemitismus mit dem Wunsch nach Vernichtung einhergeht, wird er zur mörderischen Gefahr. So sind Jüdinnen:Juden immer wieder auch das Ziel rechtsextremer oder islamistischer Terroranschläge. Deshalb werden jüdische Einrichtungen in Deutschland und weltweit schwer bewacht.
Zahlen nach: Mediendienst Integration: „Antisemitismus - Zahlen und Fakten“ (Stand: Dez. 2023)
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Sind alle Antisemit:innen islamistisch oder Nazis?
Antisemitismus ist ein zentrales Merkmal sowohl des Rechtsextremismus als auch des Islamismus. Die Judenfeindschaft der Rechten entspringt einem rassistischen Weltbild, während sie im Islamismus vor allem mit religiösen Motiven begründet wird. Beide Ideologien dienen der Abwertung von Jüdinnen:Juden und als Rechtfertigung für antisemitische Gewalt. Gleichzeitig gilt aber: Wer antisemitische Gedanken hat, muss nicht unbedingt rechtsextrem oder islamistisch sein. Denn Vorurteile gegenüber Jüdinnen:Juden sind allgemein weit verbreitet. Sie finden sich in allen gesellschaftlichen Schichten und bei Menschen unterschiedlicher politischer Meinungen.
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Kann man antisemitisch sein, ohne es zu wollen?
Viele Menschen verhalten sich antisemitisch, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wir alle sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in denen antisemitische Vorstellungen weit verbreitet sind. Daher kann es vorkommen, dass uns manchmal gar nicht so klar ist, wie und wo wir antisemitische Bilder und Deutungen nutzen oder weiterverbreiten. Doch ist abwertendes oder verletzendes Verhalten nicht weniger schlimm, nur weil es „ja nicht so gemeint“ sei. Es ist stets wichtig, auf Antisemitismus hinzuweisen und ihn zu verurteilen. Aber es greift zu kurz, wenn wir ihn nur bei „den Anderen“ suchen. Wir müssen auch die eigenen Bilder im Kopf hinterfragen und das eigene Denken, Fühlen und Handeln kritisch prüfen.
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Ist Antisemitismus strafbar?
Ja, in bestimmten Fällen ist Antisemitismus strafbar. Denn das deutsche Grundgesetz (GG) und das Strafgesetzbuch (StGB) verbieten die Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen und Gruppen aufgrund nationaler, “rassischer”, religiöser oder ethnischer Herkunft, Weltanschauung, Behinderung oder sexuellen Orientierung. So können antisemitische Äußerungen und Handlungen nach dem Gesetz zum Beispiel den Tatbestand der Volksverhetzung (§130 StGB), der Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung (§§185ff. StGB) oder der „verhetzenden Beleidigung“ (§192a StGB) erfüllen. Diese können mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Gerüchte
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Warum sollen ausgerechnet Jüdinnen:Juden an allem schuld sein?
Wer einen Sündenbock für gesellschaftliche Missstände sucht, der nimmt dafür gerne Minderheiten, die in einer schwächeren Position sind. Das waren im christlichen Europa (und oft auch in der islamischen Welt) Jüdinnen:Juden, die wegen ihrer Religion ausgegrenzt wurden. In der neueren Zeit nahm die gesellschaftliche Bedeutung von Religion vielerorts ab. Die Ausgrenzung von Jüdinnen:Juden blieb. Dazu erfand man immer neue Begründungen, jetzt immer öfter auch ohne religiösen Bezug. Über viele Jahrhunderte haben sich Vorurteile gegenüber Jüdinnen:Juden in das Denken der Menschen eingegraben. Auch heute wirken die alten negativen Bilder fort, obwohl uns das manchmal gar nicht so bewusst ist. Manchen erscheint es naheliegend, die Vorurteile einfach zu glauben, statt sie zu hinterfragen. Und weil das schon immer so gewesen zu sein scheint, ist es bequem, gerade Jüdinnen:Juden zu beschuldigen.
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Wie verbreiten sich antisemitische Vorurteile?
Vorurteile gegenüber Jüdinnen:Juden gibt es schon lange. Sie wurden von Generation zu Generation weitergegeben und sind noch heute weit verbreitet. Viele Menschen teilen bestimmte (negative) Vorstellungen darüber, was Jüdinnen:Juden angeblich ausmacht. Sie glauben zu wissen wie „die Juden“ eigentlich sind – wie sie aussehen, sich verhalten, was sie denken oder fühlen. Der Philosoph Theodor W. Adorno bezeichnete den Antisemitismus auch mal als das „Gerücht über die Juden“. Viele solcher Vorurteile werden unbewusst weitergetragen, andere ganz bewusst verbreitet. Besonders gefährlich wird das, wo sie massenhaft über Medien wie Internet, Fernsehen oder Zeitungen Verbreitung finden. Durch ständige Wiederholung werden bestehende Vorurteile noch fester in den Köpfen verankert.
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Was ist der Nutzen oder die Funktion von Antisemitismus?
Die Frage, warum jemand antisemitisch denkt und handelt, ist nicht immer eindeutig zu beantworten. Aber in jedem Fall lassen sich aus dem Antisemitismus bestimmte Vorteile ziehen. Wer antisemitisch denkt und handelt, hat also einen konkreten Nutzen davon. Die Abwertung von anderen ermöglicht es zum Beispiel, sich selbst als etwas Besseres darzustellen und das Selbstwertgefühl zu erhöhen. Judenhass kann auch dazu dienen, persönlichen Frust abzubauen, indem man die eigene Wut auf andere lenkt. Wer angebliche Schuldige benennen kann, findet damit außerdem einfache Erklärungen für komplexe Situationen. Die Ausgrenzung von anderen nützt nicht nur dem Individuum, sondern auch der Gruppe. Sie fördert das Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit. Gleichzeitig schafft und legitimiert sie Hierarchien und Machtverhältnisse. Das nutzen auch manche politischen Akteure, indem sie Hass und Hetze verbreiten, um die Gesellschaft zu spalten.
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Gibt es Antisemitismus auf der ganzen Welt?
Antisemitismus ist nicht auf Deutschland oder Europa beschränkt. Eine globale Studie zeigt: Vorurteile und Hass gegenüber Jüdinnen:Juden finden sich in allen Teilen der Welt. Antisemitismus gibt es auch in Gesellschaften, in denen nur sehr wenige oder gar keine Jüdinnen:Juden leben. Oft ist er sogar dort stärker vertreten, wo die jüdische Bevölkerung besonders klein ist. Antisemitismus hat also nichts mit dem Verhalten von jüdischen Menschen zu tun. Aber er erfüllt bestimmte Funktion für diejenigen, die antisemitisch denken und handeln. Er liefert scheinbare Erklärungen und Schuldige für komplexe Probleme – und eine falsche Rechtfertigung für Wut und Hass.
Quelle: Anti-Defamation League (ADL): „The ADL Global 100: An Index of Antisemitism“
Verschwörung
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Was ist überhaupt eine Verschwörungstheorie?
Kennzeichnend für Verschwörungstheorien ist der Glaube, dass eine Gruppe von Menschen im Geheimen hinter allen möglichen Ereignissen und Entwicklungen steht. Diesen angeblichen „Verschwörern“ wird nicht nur sehr viel Macht unterstellt, sondern auch der Wille, anderen Schaden zuzufügen. In einer solchen Weltsicht scheinen Gut und Böse ganz eindeutig verteilt: Es gibt die bösen „Verschwörer:innen“ und ihre armen unschuldigen Opfer. Verschwörungstheorien lassen die komplexe und widersprüchliche Welt, in der wir leben, also als klar geordnet und zweifelsfrei durchschaubar erscheinen. Das macht sie für viele Menschen attraktiv.
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Was unterscheidet begründete Kritik von einer Verschwörungstheorie?
Wo in einer Gesellschaft Missstände bestehen, da sind diese zu kritisieren. Das gilt auch dort, wo wir auf geheime Absprachen stoßen, die anderen schaden können: Machtmissbrauch, illegale Geschäftspraktiken oder Korruption können auf derartigen „Verschwörungen“ basieren. Was aber ist der Unterschied zwischen einer kritischen Haltung und Verschwörungstheorien? Verschwörungstheorien gehen davon aus, dass hinter allen möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen eine bösartige Gruppe steht, die das Geschehen lenkt. Nichts geschieht zufällig, alles ist Teil eines großen Plans. Oft werden geheime Machenschaften von ungeheuren Ausmaßen fantasiert. Es ist aber mehr als unwahrscheinlich, dass bei solchen Verschwörungen tatsächlich alle dichthalten. Wirkliche Verschwörungen, die aufgedeckt wurden, waren allesamt um viele Nummern kleiner. Um Verschwörungstheorien zu erkennen, sollte man sich zudem fragen: Wie glaubwürdig sind die Quellen, die genannt werden? Und: Welchen politischen Zielen könnten die Behauptungen dienen? Denn Verschwörungstheorien werden auch genutzt, um zum Beispiel rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten.
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Sind alle Verschwörungstheorien antisemitisch?
Verschwörungstheorien sind nicht immer antisemitisch – aber oft. Und das ist kein Zufall. Schon früher wurden Jüdinnen:Juden grundlos für Unglücke und Seuchen verantwortlich gemacht. Und auch heute noch heißt es regelmäßig, sie seien mächtig, bösartig, reich und gegen den Rest der Menschheit verschworen. Im modernen Antisemitismus ist die Vorstellung zentral, dass eine „jüdische Weltverschwörung“ heimlich die Menschheit unterjochen will. Viele der aktuell verbreiteten Verschwörungstheorien greifen offen oder versteckt auf Antisemitismus zurück: Das erscheint naheliegend, denn er ist selbst eine Verschwörungstheorie, und zwar eine besonders alte und weit verbreitete.
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Wie erkenne ich antisemitische Verschwörungstheorien?
Manchmal ist es sehr einfach, Verschwörungstheorien als antisemitisch zu entlarven. Bei Sprüchen wie „Das waren die Juden!“ wissen alle sofort Bescheid. So simpel ist es jedoch nicht immer. Manche verstecken ihren Antisemitismus hinter Tarnwörtern, also Codes und Chiffren. Sie sprechen dann nicht von „den Juden“, sondern benutzen scheinbar harmlose Begriffe. Zum Beispiel sagen sie „Globalisten“ statt „jüdische Weltverschwörer“. Oder sie sprechen von „Finanzelite“, meinen aber eigentlich „reiche und mächtige Jüdinnen:Juden“. Hier und in anderen Fällen muss man also genauer hinsehen oder weiter nachfragen, um Antisemitismus zu entdecken. Dafür ist es wichtig, dass man die antisemitischen Vorurteile und Bilder überhaupt kennt. So lassen sich dann auch antisemitische Denkfiguren und sprachliche Tricks aufdecken.
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Gibt es auch harmlose Verschwörungstheorien?
Harmlos sind auch die skurrilsten Verschwörungstheorien nicht. Zugegeben: Viele von ihnen sind so absurd, dass es auf den ersten Blick nur lächerlich erscheint. Doch die Vorstellung, dass die ganze Menschheit von finsteren Gestalten manipuliert wird, führt zur Rechtfertigung jeglicher „Gegenwehr“. Das mündet immer wieder in extremer Gewalt gegen völlig unschuldige Menschen. „Kleinere“ Verschwörungstheorien, die nicht gleich die Weltherrschaft unterstellen, sind dagegen oft Einfallstor für weiterführende. Wissenschaftliche Studien zeigen: Die wenigsten Menschen glauben nur an eine einzige Verschwörungstheorie. Und wer erst einmal meint, dass die Regierung fähig sei, die Mondlandung zu faken, der traut ihr bald auch noch ganz andere großangelegte Verschwörungen zu.
Israel
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Warum zieht Israel so viel Hass auf sich?
Israel ist der einzige Staat auf der Welt mit einer mehrheitlich jüdischen Bevölkerung. Er wird daher manchmal auch als „jüdischer Staat“ bezeichnet. Israel ist damit die perfekte Zielscheibe, um gewissermaßen versteckt und über einen Umweg Antisemitismus zu äußern. Anstatt zu sagen „die Juden“ sind so und so, sagt man einfach „Israel“ ist so und so. Als Aufhänger für den Hass wird häufig der Konflikt zwischen Israel und den Palästinenser:innen genommen, der immer wieder in Gewalt eskaliert. Statt das Vorgehen und die Handlungsmöglichkeiten aller Konfliktparteien zu betrachten, erfolgen einseitige Schuldzuweisungen gegen Israel. So kann sich Antisemitismus als vermeintlich unproblematische Kritik am israelischen Staat tarnen.
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Darf man Israel nicht kritisieren?
Man darf Israel kritisieren – so wie jeden anderen Staat auch. Dann sollte man sich allerdings auf überprüfbare Fakten und sachliche Argumente stützen und auch offen für Einwände und Gegenargumente sein. Wenn aber negative Äußerungen über Israel mit alten judenfeindlichen Bildern und Vorurteilen verknüpft werden, dann muss man sich zurecht den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen. Dies liegt zum Beispiel dann vor, wenn Israel als absolut böse, teuflisch oder blutrünstig dargestellt wird. Antisemitisch ist es auch, wenn dem Staat das Recht zu Existieren abgesprochen wird oder wenn Jüdinnen:Juden auf der ganzen Welt für die Handlungen des israelischen Staates verantwortlich gemacht werden.
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Sind alle Israelis Jüdinnen:Juden?
Von den etwa 9 Millionen Israelis sind knapp 75 Prozent Jüdinnen:Juden – viele mit Migrationsgeschichten aus den verschiedensten Teilen der Welt. Über 20 Prozent der israelischen Staatsbürger:innen sind arabisch-palästinensischer Herkunft. Ein Großteil der arabischen Israelis ist muslimisch, jeweils 8 Prozent gehören der christlichen und der drusischen Religionsgemeinschaft an.
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Haben alle Jüdinnen:Juden einen israelischen Pass?
Von der jüdischen Bevölkerung weltweit lebt etwa die Hälfte nicht in Israel. In der Regel haben Jüdinnen:Juden, die nicht aus Israel stammen und nicht dort wohnen, auch keinen israelischen Pass. Sie haben dort also auch keine Rechte als Staatsbürger:innen und dürfen nicht wählen. Allerdings gibt es eine Besonderheit: Personen jüdischer Herkunft oder jüdischen Glaubens können die Staatsbürgerschaft Israels erlangen und einwandern, wenn sie das wollen.
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Ist Zionismus gleich Rassismus?
Nein. Zionismus bezeichnet historisch die jüdische Nationalbewegung. Der Zionismus beruht auf der Idee, dass Jüdinnen:Juden einen eigenen Staat benötigen, in dem sie sicher leben können. Diese Idee entstand auch aus der Erfahrung, dass Antisemitismus trotz rechtlicher Gleichstellung weiterexistierte. Egal wie sehr sich Jüdinnen:Juden anpassten und integrierten – sie blieben eine diskriminierte Minderheit, der die Schuld für alles Mögliche gegeben wurde. In manchen Ländern lebten sie unter der ständigen Gefahr gewaltsamer Übergriffe. Der Zionismus ist also eine Reaktion auf Ausgrenzung und Verfolgung. Zu seinen Grundideen gehören Selbstbestimmung und Selbstschutz – und nicht die Unterdrückung anderer.
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Ist Israel schuld am Nahostkonflikt?
Einseitige Schuldzuweisungen sind beim Nahostkonflikt völlig fehl am Platz. Der Konflikt entstand, weil zwei Bevölkerungsgruppen den gleichen Landstrich für einen eigenen Nationalstaat beanspruchten: Sowohl die jüdische als auch die arabisch-palästinensische Nationalbewegung wollte im Gebiet des heutigen Israel/Palästina einen Staat gründen. Beide Gruppen konnten gute Gründe für ihren Anspruch vorweisen und waren zu Teilen auch bereit ihn mit Waffengewalt durchzusetzen. Auf einem von den Vereinten Nationen vorgeschlagenen Teilgebiet wurde schließlich von jüdischer Seite der Staat Israel gegründet. Von arabisch-palästinensischer Seite war der Teilungsplan abgelehnt worden. Inzwischen gibt es in der Region seit vielen Jahrzehnten Auseinandersetzungen um Fragen der Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Gebietsverteilung. Die immer wieder aufflammende Gewalt hat zu unzähligen Toten und einer Verhärtung der Fronten geführt.
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Ist man antisemitisch, wenn man sich mit Palästinenser:innen solidarisiert?
Das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung anzuerkennen, ist kein Ausdruck von Antisemitismus, sondern von Menschlichkeit. Man kann sich auch allgemein für eine Verbesserung der Situation von Palästinenser:innen oder für die Gründung eines palästinensischen Staates einsetzen, ohne antisemitisch zu sein. Sich seine Menschlichkeit auch in Bezug auf den Nahostkonflikt zu bewahren bedeutet, allen Opfern gegenüber solidarisch zu sein. Palästinensischen und israelischen. Und es bedeutet sich gegen Antisemitismus und Rassismus stark zu machen - und keinem einseitigen und falschen Gut-Böse-Denken auf den Leim zu gehen. Leider findet sich genau das häufig beim Thema Israel/Palästina.
Nazi-Vergangenheit
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War der Holocaust einzigartig?
Der Holocaust war nicht der erste und nicht der einzige Völkermord in der Geschichte. Aber durch sein Ausmaß und seine Ziele hat er einen besonderen Stellenwert. Denn er weist ganz spezielle Merkmale auf: Noch nie hat sich ein Staat vorgenommen, ausnahmslos alle Angehörigen einer bestimmten Gruppe von Menschen auszulöschen, also zu töten. Und noch nie hat ein Land dafür alle seine staatlichen Institutionen und Verwaltungen eingespannt, um eine Minderheit so umfassend zu demütigen, zu entrechten, zu verfolgen und zu ermorden. Besonders war auch, dass die Nazis die Ermordung ihrer jüdischen Opfer so systematisch organisierten. Der Holocaust war das Ergebnis davon, dass den Jüdinnen:Juden das Recht zu existieren einfach abgesprochen wurde. Diese Besonderheiten des Holocaust unterscheiden ihnen von anderen Völkermorden.
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Ist der Holocaust wichtiger als andere Menschheitsverbrechen?
Nein. Die Geschichte kennt neben dem Holocaust viele weitere grausame Massenverbrechen. Immer wieder haben Menschen und Staaten versuchten, andere Gruppen gewaltsam zu unterwerfen und zu zerstören. Ob aus nationalistischen, rassistischen oder religiösen Motiven: Über Jahrhunderte haben Eroberungen, Unterdrückung, Ausbeutung und Völkermorde viele Millionen von Menschenleben gekostet. Dennoch weist der Holocaust an den Jüdinnen:Juden bestimmte Besonderheiten auf, die ihn von anderen Völkermorden unterscheiden. Diese besonderen Merkmale und Unterschiede zu verstehen, hilft uns dabei, die Geschehnisse zu begreifen und daraus zu lernen. Die Einzigartigkeit des Holocaust macht ihn nicht wichtiger als andere Verbrechen an der Menschheit. Denn jedes einzelne Leben ist wertvoll und jedes Opfer ist eines zu viel.
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Warum ist das Erinnern an den Holocaust von so großer Bedeutung?
Der grausame Massenmord an Millionen Jüdinnen:Juden und die schrecklichen Verbrechen an anderen von den Nazis verfolgten Gruppen waren ungeheuerlich. Sie haben aller Welt vor Augen geführt, wohin Hass und Ausgrenzung, wohin Antisemitismus und Rassismus führen können. Doch das Wissen verblasst: Heute kennen viele Menschen den Namen „Auschwitz“ nicht mehr – es war das größte Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis. Das Erinnern ist wichtig, um nicht zu vergessen. Aber die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hilft uns auch, gemeinsam unseren Blick für die Gegenwart und Zukunft zu schärfen. So können wir uns bewusst machen, welche Werte uns wichtig sind. Wir können überlegen, was gegen Ungerechtigkeit und Ausgrenzung zu tun ist und wie wir das Recht einer jeden Person schützen.
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Warum ist die Verharmlosung des Holocaust eine Form der Gewalt?
Die Verbrechen des Holocaust sind gewiss kein angenehmes Thema. Dass Menschen anderen Menschen so brutale Gewalt antun und so schreckliches Leid zufügen können, ist schockierend und beschämend. Es ruft negative Gefühle hervor, die viele Leute abwehren und verdrängen wollen, indem sie lieber wegschauen. Denn wenn die schlimmen Verbrechen ausgeblendet oder kleingemacht werden, dann wiegt auch die moralische Last weniger schwer. Daher muss alles bekämpft werden, was die verdrängte Erinnerung wieder aktiviert. Viele Menschen denken bei Jüdinnen:Juden sofort an den Holocaust – und stören sich deshalb an ihnen oder werden sogar aggressiv. Das ist antisemitisch, weil die Jüdinnen:Juden selbst ja gar nicht die wirkliche Ursache der negativen Gefühle sind. Den Holocaust zu verdrängen und zu verharmlosen heißt zugleich auch, den Antisemitismus kleinzureden. Beides ist also eine Form der Gewalt gegenüber Jüdinnen:Juden.
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Sind Leugnung und Verharmlosung des Holocaust strafbar?
Ja, die öffentliche Billigung, Leugnung und Verharmlosung des Holocaust fallen laut dem deutschen Strafgesetzbuch unter den Tatbestand der „Volksverhetzung“ (§130). Bestraft werden kann, wer allgemein anerkannte historische Fakten zum Holocaust anzweifelt oder den Umfang des Verbrechens herunterspielt – zum Beispiel indem man die Opferzahlen kleinredet oder die Existenz von Gaskammern, die für den Massenmord genutzt wurden, abstreitet. Die Verhöhnung der Opfer kann außerdem als „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ (§189, §194) strafrechtlich verfolgt werden. Wer den Holocaust billigt, leugnet oder verharmlost, kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Jüdisches
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Wer ist eigentlich jüdisch?
Die Frage, wer als jüdisch gilt, wird auch innerhalb des Judentums diskutiert. Nach religiösem Gesetz gilt man als jüdisch, wenn man von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Dieser strikten Definition folgen vor allem Gemeinden mit einer orthodoxen oder konservativen Glaubensauslegung. Andere Gemeinden akzeptieren auch sogenannte „Vaterjuden“, bei denen nur der Vater jüdisch ist. Wichtig ist, dass die Person im jüdischen Glauben erzogen wurde und sich den jüdischen Traditionen verbunden fühlt. Außerdem besteht die Möglichkeit eines religiösen Übertritts zum Judentum, der von Rabbiner:innen begleitet werden muss. Allgemein lässt sich sagen: Jüdischsein und Judentum werden von vielen Jüdinnen:Juden nicht nur als eine Frage des Glaubens betrachtet. Auch historische, familiäre und kulturelle Aspekte können eine Rolle spielen.
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Gibt es ein „jüdisches Volk“?
In der Thora gibt es verschiedene Bezeichnungen für Jüdinnen:Juden, zum Beispiel „Hebräer“, „Israeliten“, „jüdisches Volk“, „Volk Israel“ oder „auserwähltes Volk“. Auch andere, ganz unterschiedliche Gemeinschaften wurden in der Thora als „Völker“ bezeichnet. Manche Jüdinnen:Juden nutzen den Begriff „jüdisches Volk“ auch heute als Eigenbezeichnung. Für einige spielt dabei die Tatsache eine Rolle, dass man nach religiösem Gesetz als Jüdin:Jude geboren werden kann. Als „Volk“ verstehen manche sich auch aufgrund gemeinsamer religiöser Grundlagen, die sich Jüdinnen:Juden weltweit teilen. Eine andere Selbstbezeichnung lautet „Schicksalsgemeinschaft“. Damit will man zum Ausdruck bringen, dass es – unabhängig von Glauben oder religiösem Leben – eine gemeinsame Erfahrung gibt, die alle Jüdinnen:Juden weltweit teilen: die des Antisemitismus.
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Wieviele Jüdinnen:Juden gibt es?
Es kommt darauf an, wie man Jüdischsein definiert. Je nachdem, ob man eine streng-religiöse oder offenere Definition zugrunde legt, leben in Deutschland etwa 118.000 oder 225.00 Jüdinnen:Juden. Weltweit kommt man auf eine Zahl von etwa 16,8 Millionen Jüdinnen:Juden (Stand 2023), wenn man eine strengere Definition als Grundlage nimmt. Das entspricht in etwa 0,0021 Prozent der Weltbevölkerung.
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Sind Jüdinnen:Juden schuld an Antisemitismus?
Nein. Wer die Schuld für Antisemitismus beim Verhalten von Jüdinnen:Juden sucht, der nimmt nicht nur die Täter:innen in Schutz, sondern folgt im Grunde selbst einem antisemitischen Denkmuster. Antisemitische Vorstellungen und Bilder entspringen immer der Fantasie derjenigen, die antisemitisch denken und handeln. Mit der Realität haben sie nichts zu tun. Die Schuld bei Betroffenen von Ausgrenzung und Angriffen zu suchen, ist schlicht und einfach völlig daneben.